Ist die Angst vor dem Wolf begründet? Was Studien, ein Experte und der Bürgermeister sagen (2024)

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Von: Mathias Weinzierl

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Ist die Angst vor dem Wolf begründet? Was Studien, ein Experte und der Bürgermeister sagen (1)

Ist der Wolf, der im nur wenige Kilometer von Feldkirchen-Westerham entfernten Aying (Landkreis München) drei Schafe gerissen hat, eine Gefahr? Dazu gibt es im Mangfalltal unterschiedliche Meinungen. Was ein ausgewiesener Wolfsexperte dazu sagt.

Feldkirchen-Westerham – Landwirte haben Angst um ihren Tierbestand, eine Feldkirchen-Westerhamerin, die in der Nähe eines Waldgebiets wohnt, spricht von einem „mulmigen Gefühl“: Dass nachweislich zumindest ein Wolf in der Nähe der Mangfalltal-Gemeinde unterwegs war, vielleicht auch noch ist, sorgt in der Kommune mancherorts zumindest für Unruhe. Das OVB hat unter anderem bei einem Wolf-Experten nachgehakt, ob die Sorgen begründet sind oder ob Gelassenheit im Umgang mit dem Wolf das Gebot der Stunde sein sollte.

Wie unterschiedlich die Meinungen zum Thema Wolf sind, zeigt alleine schon die Nachfrage bei Hundebesitzern in der Gemeinde: So ist Annika Weinfurtner an diesem Spätnachmittag, nur wenige Tage, nachdem das Bayerische Landesamt für Umwelt (LfU) den Wolf im Mangfalltal bestätigt hat, völlig entspannt mit ihrem Hund im Ortsteil Aschbach unterwegs. „Ich habe das mit dem Wolf ehrlich gesagt noch gar nicht mitbekommen“, gesteht die Hundebesitzern auf OVB-Anfrage. „Für mich ist das jetzt aber auch keine Info, die mir Angst macht.“

Sie selbst werde jedenfalls bei ihrer Routine mit dem Hund nichts ändern. Zumal sie fest davon überzeugt ist, dass sich die Pfade von Mensch und Wolf gar nicht kreuzen werden, wenn es sich nicht etwa um ein Tier handelt, dass mit Tollwut infiziert sei und daher untypische Reaktionen zeige. „Ich bin ja mit meinem Hund oftmals in Richtung Blindham unterwegs“, erzählt die Feldkirchen-Westerhamerin. „Da sind oftmals so viele Menschen unterwegs, da würde sich der Wolf gar nicht aus dem Wald trauen.“

Der Fuchs traut sich mitten ins Dorf

Eine Einschätzung, für die Annette Thielmann aus Großhöhenrain nicht die Hand ins Feuer legen würde. „Die Füchse aus dem Wald trauen sich bei uns mitten ins Dorf“, sagt die Feldkirchen-Westerhamerin, die sich ehrenamtlich als Jugendbeauftragte in der Kommune engagiert. „Warum sollte das beim Wolf nicht auch passieren?“ Zumal sie selbst neben ihrem Hund noch Hasen hat, die für ein derartiges Raubtier im wahrsten Sinne des Wortes ein gefundenes Fressen wären.

Direkt Angst vor dem Wolf habe sie zwar nicht, dennoch mache sie sich, beispielsweise wenn sie abends mit dem Auto rund um Großhöhenrain unterwegs sei, schon Gedanken über das Raubtier, das theoretisch noch in den Wäldern herumstreifen könnte. „Hin und wieder sieht man ja auch ein Wildschein, die ja sonst auch relativ scheu sind“, so Thielmann, die mit ihrem Appenzeller Sennenhund Moses derzeit vorsichtshalber in eher besiedeltem Gebiet Gassi geht.

„Das Risiko, als Mensch von einem Wolf angefallen zu werden, ist extrem gering“, rät Frank Faß hingegen dazu, nicht in Panik zu verfallen. Er sagt aber auch: „Es ist wie mit einem Lottogewinn. Hier ist die Wahrscheinlichkeit auch minimal, aber dennoch da.“ Faß betreibt gemeinsam mit seiner Frau im niedersächsischen Dörverden das sogenannte Wolfcenter, in dem sich Besucher nicht nur in einer Ausstellung über das Raubtier informieren, sondern auch mit zahlreichen Wölfen auf Tuchfühlung gehen können.

Statistik spricht eine klare Sprache

Faß verweist in Hinblick auf seine Aussagen auf Statistiken, die belegen, wie gering die Gefahr einer Wolfsattacke auf den Menschen letztlich ist. So ist es laut einer Studie des Norwegischen Instituts für Naturforschung, kurz „Nina“, in ganz Europa im Zeitraum zwischen 2000 und 2020 insgesamt zu 75 Attacken von Wölfen auf Menschen gekommen, wobei keine der Attacken tödlich endete. 69 der insgesamt 75 Vorfälle seien zudem von Wölfen begangen worden, die an Tollwut erkrankt waren. Faß: „Doch an Tollwut erkrankte Wölfe haben wir nach derzeitigem Kenntnisstand in Deutschland überhaupt nicht.“

Die Gefahr für den Menschen, die durch das Raubtier ausgeht, ist nach Einschätzung des Wolfsexperten also extrem gering. Ganz im Gegensatz zur Gefahr für die landwirtschaftliche Nutztierhaltung, wo laut Faß vor allem Schafe, aber auch Kuhkälber und sogar ausgewachsene Rinder als Beute infrage kämen. „Ich kann daher nur jedem Landwirt oder Nutztierhalter raten, seinen Tierbestand so weit es möglich ist vor dem Wolf zu schützen“, sagt der Experte. Zumal es sich wohl erst mit der Zeit herausstellen werde, ob das Tier, das bei Aying zugeschlagen hat, nur auf Durchreise war oder sich im Mangfalltal ein eigenes Territorium gesucht hat.

Stichwort Wolfsentnahme: So ist die aktuelle Gesetzeslage

Der Wolf gehört in Europa zu den streng geschützten Tieren. Dennoch ist es in bestimmten Fällen möglich, ein derartiges Tier zu töten, was im Behördendeutsch als „Entnahme“ umschrieben wird. „In Bayern sind grundsätzlich die höheren Naturschutzbehörden an den Regierungen für die Erteilung von Ausnahmegenehmigungen beim Wolf zuständig“, teilte eine Sprecherin des Bayerischen Staatsministeriums für Umwelt und Verbraucherschutz auf OVB-Anfrage mit. „Dies betrifft Fallkonstellationen in schützbaren Gebieten, in denen zumutbarer Herdenschutz überwunden wurde.“

Eine Abschussgenehmigung sei danach in Gebieten mit erhöhtem Rissaufkommen „bereits nach erstmaligem Überwinden des zumutbaren Herdenschutzes und dem Riss von Weidetieren durch einen Wolf möglich“. „Diese soll zeitlich für einen Zeitraum von 21 Tagen nach dem Rissereignis gelten und die Entnahme im Umkreis von bis zu 1000 Metern um die betroffene Weide im betroffenen Gebiet zulassen“, so die Ministeriumssprecherin. Gebiete mit erhöhtem Rissaufkommen würden von den Ländern festgesetzt.

Nach Angaben der Behörde konkretisiert die sogenannte Bayerische Wolfsverordnung (BayWolfV) für bestimmte Fallkonstellationen die Voraussetzungen für Entnahmen. „Dies umfasst Fälle, in denen Wölfe in einem per Verordnung festgelegten ‚nicht schützbaren Weidegebiet‘ ein Nutztier verletzen oder töten, oder Wölfe die Gesundheit des Menschen oder die öffentliche Sicherheit gefährden“, wie die Sprecherin weiter ausführt. Im Rahmen des Anwendungsbereichs der BayWolfV würden die Zuständigkeit zur Erteilung von Ausnahmegenehmigungen im Einzelfall den unteren Naturschutzbehörden an den Landratsämtern übertragen.

Bürgermeister: „Bestimmt nicht sinnvoll, in Panik zu verfallen“.

Das Auftauchen eines Wolfs im Mangfalltal sei für ihn persönlich zwar überraschend, aber „nicht gänzlich unerwartet gewesen“, wie Feldkirchen-Westerhams Bürgermeister Johannes Zistl (Ortsliste Vagen) auf OVB-Anfrage betont. Dennoch sei es aus seiner Sicht „zum jetzigen Zeitpunkt bestimmt nicht sinnvoll, in Panik zu verfallen“. Er tausche sich zwar ständig mit den Bürgermeistern der Nachbarkommunen aus, eine „detaillierte Herangehensweise zu diesem Thema“ sei aber noch nicht besprochen worden.

Auch seitens der Gemeinde sei es derzeit kein „vorrangiges Ziel“, auf die Landwirte, die Angst um ihren Tierbestand haben, zuzugehen. „Möglicherweise könnten wir bei einzelnen Anfragen zu Schutzmaßnahmen und möglichen Ausgleichsleistungen im Schadensfall beratend tätig sein“, so Zistl, der eine derartige Hilfestellung letztlich „anlassbezogen“ prüfen will. Waldbesuchern rät der Rathauschef hingegen, „vorsichtig zu sein und sich zu informieren, was man bei einer Begegnung mit einem Wolf am besten tun soll“. Dazu sei auf der Homepage der Gemeinde auch ein kurzer Leitfaden veröffentlicht worden.

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